artpreview · 2017

Ausstellungsvorschauen der Sezession Nordwest e. V., Wilhelmshaven, Alexander Langkals

Nach längeren und tiefgreifenden Umstrukturierungen innerhalb der Sezession Nordwest wurde die Ausstellungsdauer auf zwei Monate verlängert. Im Juni 2017 erfolgte der Neustart.

Oktober-November

Maren Panke, Zart, 2017, Holz, gefasst (Ausschnitt)

Maren Panke, Inbalance

Kaum haben Heinrich Schülers Mythische Göttinnen die Sezession Nordwest verlassen, ziehen "moderne" Frauen von Maren Panke ein. Die extrem schlanken, auf den Fußspitzen stehenden Holzfiguren werfen nicht allein durch ihre Geichtslosigkeit viele Fragen auf.

Ein Heer von Frauen, die hinsichtlich ihres Typus den Idealvorstellungen mancher junger Mädchen entsprechen, bevölkert vom 5. Oktober bis zum 19. November die Sezession Nordwest. Doch so erstrebenswert dieser Typ für viele Mädchen und Frauen ist, so verunsichert er nicht wenige und kann ihre innere Balance gefährlich ins Wanken bringen: Es ist ein Typus, der an Magermodels denken lässt und damit junge Frauen symbolisiert, die augenscheinlich von jeglichen Spuren des Lebens noch verschont sind. Doch so weit trägt nur ein erster, flüchtiger Blick. Wie beim realen Menschen gilt es einen zweiten, genaueren zu werfen, um hinter die äußerste Fassade zu blicken. Und ebenso werden die An-Sichten vielschichtiger, differenzierter und interessanter, wenn man den Titel der Ausstellung, Inbalance, nicht nur als Aussage versteht, sondern mit einem Fragezeichen versieht. Zudem kennzeichnet er einen Zustand, der nur um einen Buchstaben von seinem Gegenteil entfernt ist.

Die Auseinandersetzung mit dem Dualismus von Sicherheit und Unsicherheit ist ein wesentlicher Bestandteil der Holzskulpturen von Maren Panke. 1965 in Flensburg geboren, lebt sie seit 2016 in Wilhelmshaven. Vor der Bildhauerei galt ihr Interesse Sprachen. Neben verschiedenen Sprachkursen erlernte sie die Gebärdensprache und machte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin. Die besondere Ausdrucksform der Gebärdensprache führte sie zur Bildhauerei, in der sie „ihre“ Sprache persönlicher Formulierung fand. Zahlreiche Kurse vor allem zur Holzbildhauerei führte sie u. a. nach Berlin, nach Ottobrunn sowie an die Haller Akademie der Künste in Schwäbisch Hall. Seit 2008 ist sie Mitglied in mehreren Vereinigungen, darunter die Sezession Nordwest sowie der BBK Ostfriesland. Seit 2007 präsentiert sie ihre Arbeiten in zahlreichen Ausstellungen.

Die grundlegend extrem schlanken Frauen ohne Gesichter mit überlängten Beinen stehen stets auf den Zehenspitzen übergroßer Füße. Es bleibt unklar, warum sie sich vom sicheren Grund abheben und sich der Gefahr des Schwankens aussetzen – einige vielleicht, weil sie etwas in der Ferne genauer erkennen wollen. Doch liegt in diesem Motiv eine weitere Irritation des Betrachters, da er ihren fehlenden Blicken nicht folgen kann. So bleibt allein die Figur zur Einschätzung von Stimmung und Zustand. Doch deren Körperhaltungen können durchaus widersprüchlich erscheinen – tänzerisch leicht und schwerelos einerseits, zugleich unsicher und Halt suchend.

Maren Panke arbeitet mit sehr unterschiedlichen Holzarten, auch mit „verwachsenen“ oder bereits verwendeten Hölzern. Sie zwingt ihre Vorstellung nicht bedingungslos auf, sondern lässt sich von Wuchs und Struktur lenken – ein Spiel mit der Balance von Eingriffnahme und Belassen. Wie sehr sie jedoch grundlegend an der Exaktheit formalen Ausgestaltens interessiert ist, zeigen diverse Details; etwa ein – natürlich auf den Zehenspitzen stehender – Fuß, einzelne an der Wand hängende Brüste oder allein laufende Beine. Die Oberflächen werden durch die natürliche Maserung bestimmt, Farben werden nicht als solche aufgetragen; sondern mittels Essiglösungen, Bleichen und Seifen werden Tönungen erzielt, die in einem harmonischen Verhältnis zum natürlichen Holzton stehen.

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Maren Panke, Ebbe I, II, III, 2017, Holz, gefasst

Maren Panke, Zart, 2017, Holz, gefasst

Maren Panke, standing still, 2013, Holz

August-September

Heinrich Schüler, Phoibe, 2016, Holzschnitt, (Ausschnitt)

Heinrich Schüler, Mythische Göttinnen

Mit wenigen scharfen, in Holz geschnittenen Linien und einer äußerst reduzierten Farbpalette charakterisiert Heinrich Schüler bekannte und unbekannte Göttinnen in zeitlos-klassischen Darstellungen.

Mythische Göttinnen besuchen ab dem 3. August die Sezession Nordwest. Jedoch aufgrund ihrer existenziellen Flüchtigkeit nur als Verbildlichungen. Festgehalten auf Papier von Heinrich Schüler, der 1935 in Königstein im Taunus geboren wurde und später als Restaurator und Künstler in Wiefelstede eine Heimat fand. Nach einer handwerklichen Ausbildung studierte er an der Frankfurter Städelschule bildende Kunst und erschloss sich verschiedene grafische Techniken. Neben der Tätigkeit als freischaffender Künstler arbeitete er als Fachlehrer und Kirchenrestaurator.

Bescheidenheit und Zurückhaltung des Künstlers spiegeln sich in seinen Arbeiten, besonders den Holzschnitten. Diese Technik, in spätem Mittelalter und früher Neuzeit von den herausragenden Meistern der Zeit wie Dürer auf höchstes handwerkliches und künstlerisches Niveau emporgehoben, geriet Jahrhunderte später fast in Vergessenheit und führte ein Schattendasein. Bis eine junge Künstlergeneration sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus ihrem „Dornröschenschlaf“ entriss und mit ihrer Hilfe einen neuen Stil, den Expressionismus begründete. Sie, genauer die Brücke-Künstler waren Anlass für Heinrich Schüler, sich die Holzschnitt-Technik anzueignen, zu perfektionieren und ein Leben lang begeisternd auszuüben – bis er im vergangenen Oktober sein Werkzeug endgültig aus den Händen legen musste.

Alle hauptsächlichen künstlerischen Genres hat er im Holzschnitt behandelt: Porträt, Stillleben, Landschaftsdarstellungen; besonders der Küsten- und Moorlandschaften. Seine Figuren sind nicht selten unbekannt – thematisch etwa mythische Göttinnen; formal als Auseinandersetzungen mit Werken namhafter Meister aus Gotik und Renaissance. Zuweilen lässt selbst Picasso grüßen – so in Göttinnen-Gesichtern, die in ihrem en face zugleich das eigene Profil aufzeigen wie im Falle der Phoibe, einer Titanin der griechischen Mythologie. Entgegen der klassischen Darstellung vom Pergamonaltar, wo sie mit einer Fackel gegen die Giganten zieht, lässt Schüler sie, sich ihrer ganzen Körperlichkeit bewusst, vor einem symbolistischen Pflanzenvorhang ruhen. Während die alte durch großen Detailreichtum als kraftvoll gekennzeichnet ist, erreicht dies Schüler bei der jungen durch seine nicht mehr zu überbietende Reduzierung aufs Wesentliche. Aus rein schwarzer Fläche formt er – und das plastisch – allein mit konturierenden Linien seine nicht minder kraftvolle Phoibe; und auch genügen wenige Linien für das selbstbewusste Antlitz. Das ist höchste Meisterschaft.

Streng frontal begegnet die sumerische Göttin Inanna, die in ihrer offensiven Weiblichkeit unschwer als Göttin der Liebe zu erkennen ist. Sie wurde als Morgen- und Abendstern verehrt; das angeschnittene Objekt am linken Bildrand entpuppt sich somit als Mondsichel, hingegen handelt es sich bei der vermeintlichen achtblättrigen Blüte um einen achtstrahligen Stern, mit dem schon zu babylonischer Zeit die Venus, Planet der Inanna, symbolisiert wurde.

Auf der Spurensuche nach weiteren „Göttinnen“ taucht Schüler noch tiefer in die Vergangenheit und zeigt uns die altsteinzeitliche Venus von Willendorf; doch diesmal ganz im Widerspruch zu ihrer monochromen Steinfarbigkeit in kräftigen Farbakkorden, die an mit dem Computer generierte Solarisationen erinnern.

Bis zum 22. September verweilen die Göttinnen in der Sezession Nordwest. Danach – ganz ihrer Natur entsprechend – verflüchtigen sie sich wieder.

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Heinrich Schüler, Phoibe, Holzschnitt

Heinrich Schüler, Inanna, Holzschnitt

Heinrich Schüler, Inanna im Garten, Holzschnitt

Heinrich Schüler, Venus, Holzschnitt

Juni-Juli

Hartmut Bleß, Ruhende Rinder, 2017, Öl/Hartfaser (Ausschnitt)

Aus den Jahren
und Aktuelles der Sezession Nordwest

Die Sezession Nordwest hat nach einer unruhigen Phase organisatorische Umstrukturierungen vorgenommen und startet in einen neuen, zweimonatlichen Ausstellungszyklus mit einer Werkschau von Hartmut Bleß.

Seit fast 15 Jahren ist die Sezession Nordwest e. V. durch ihre Ausstellungen einem großen, vor allem kunst- und kulturinteressiertem Bevölkerungskreis bekannt. In ihrem SchauFenster für regionale Kunst in der Virchowstraße 37 präsentieren die teils selbst künstlerisch aktiven Mitglieder Werke aller Kunstgattungen und Stilrichtungen, wobei der Fokus – namensprägend – auf Künstler der heimatlichen Region ausgerichtet ist.

Zum Zweck einer Neuaufstellung wurde in einer Mitgliederversammlung am 4. April die Vorstandsnachfolge geregelt. Frank Schuppan, Michael Schildmann (1. und 2. Vorsitzender) und Susanne Göbel (Kassenwart) übernahmen ihre Posten von Kim Maya Sutton, Christa Marxfeld-Paluszak und Wilfried Becker, denen für ihre teils bis zur Gründung zurückreichenden Tätigkeiten von den anwesenden Mitgliedern der Dank ausgesprochen wurde.

Die Laufzeiten waren mit einem Monat in der Vergangenheit recht kurz bemessen; nun sollen die alle zwei Monate wechselnden Ausstellungen von Zeit zu Zeit durch Abendveranstaltungen begleitet werden: Geplant sind Lesungen, musikalische Aufführungen, Kunstgespräche. Die bisherigen Öffnungszeiten mittwochs und donnerstags von 16 bis 19 Uhr gelten weiterhin.

Vom 1. Juni bis zum 16. Juli macht Hartmut Bleß aus Ulbargen/Großefehn den Auftakt im neuen Ausstellungszyklus. Unter dem Titel Aus den Jahren zeigt er einen Querschnitt von Gemälden, Zeichnungen, Collagen und Skulpturen, die bis in die 80er-Jahre zurückreichen.

1953 in Sandhorst bei Aurich geboren, legte er mit dem Fachabitur an der Fachoberschule für Gestaltung in Bremen seinen späteren Werdegang bereits an. Das Studium der Freien Malerei an der Hochschule der Künste in Berlin beschloss er als Meisterschüler bei Prof. Klaus Fußmann. Das malerische Œuvre umfasst einen weiten Spannungsbogen von gegenstandsfreien bis nahezu naturalistischen Arbeiten. Seit 2003 hat er sein Augenmerk zudem auf die Bildhauerei gerichtet.

Die ungegenständlichen Bilder zeichnen sich durch ausgewogene kompositorische Ordnungen und Gefüge aus, die ein großes Spektrum überwiegend harmonischer Klänge erzeugen. Doch gibt es daneben immer wieder Momente von Störungen, Unterbrechungen, Dissonanzen und Widersprüchen. Mit den Worten des Künstlers: „Ich finde grundsätzlich, dass Kunst nicht (zu) schön sein darf. Das macht sie verdächtig. Kunst muss in irgendeiner Weise auch ein Totentanz sein, sie soll nicht nur die angenehme Gefühlswelt ansprechen.“

Vor diesem Hintergrund offenbart etwa das 2015 entstandene Spinning Mills 2 einen äußerst bedenklichen Inhalt: Eine Reihe hoch aufragender Windmühlen ist von gleißendem Licht zu weit emporgehobenen Sterngebilden verunklärt. Wie Kämpfer für eine saubere, überhaupt bessere Welt scheinen sie alles Düstere, Bedrohliche um sich herum aufzusprengen und wegzublasen – vielleicht jedoch erblicken wir den genau umgekehrten Fall, in dem sich zwei übermächtige, allseitige Dunkelsphären immer näher zusammenschieben, um in wenigen Augenblicken noch den letzten Widerstand einer hellen Hoffnung zu verschlingen. Andere Landschaftsbilder werfen bereits in ihren Titeln, wie Fracking, kritische Fragen auf: Vor einem hell schäumenden Horizont entspannt sich eine unruhig bewegte Landschaft, die von einem ölig-bräunlichen Gemenge überdeckt ist, welches anscheinend alles Leben unter sich verschluckt und verdaut hat. Nichts hat es verschont – eine wahre Apokalypse. Gottlob bestehen daneben etwa mit sichtbar groben Pinselzügen abstrahierte durchaus idyllische Landschaften, in denen sich Ruhende Rinder fern jeder Bedrohlichkeit niedergelassen haben.

Vergänglichkeit bestimmt die bildhauerischen Werke. Das Material der Wahl, Metall, ist mit sichtbaren Schweißspuren verarbeitet; die Oberflächen sind auf vielfältige Weise, etwa durch Schleifen, Polieren oder Bläuen charakterisiert. Wie in der Malerei geht es auch hier, selbst bei realistisch anmutenden Arbeiten, nicht um Abbildhaftigkeit – vielmehr entstehen freien Assoziationen und Interpretationen offene obskure Objekte. Ein mit einem rostigen Kinnriemen eigentümlich verfremdeter Totenschädel erinnert an die menschliche Endlichkeit und hinterfragt das Leben. Der Glanz des harten Stahls ist durch Schweißpunkte und Löcher aufgebrochen; selbst dieses Material offenbart seine Verletzbarkeit.

Harte Kontraste bestimmen Hanibal – einen eiförmigen Körper, der aufgeschnitten von zwei Fixateuren gehalten wird. Ein Anblick, der manch einen Betrachter an einen Knochenbruch erinnert. So martialisch ein Fixateur erscheint, so unerlässlich ist er. Nicht jedoch bei Hanibal. Hier verhindert er in grauenvoller Weise jede Heilung und zelebriert geradezu die Verletzungen. Vielleicht erscheint genau aus diesem Grund weniger der historische als vielmehr Hannibal Lecter vor dem geistigen Auge.

Vieles liegt im subjektiven Wahrnehmungsempfinden des Betrachters begründet. Bildtitel fungieren eher als Ratgeber bzw. Hilfesteller und führen wie eine Art Leitfaden durch die Arbeiten. Ihr Anliegen besteht weniger darin, den Betrachter in starre Deutungsbahnen zu zwingen. Auch finden sich Ironie und Witz – etwa in Titeln wie Glaube zersetzt Berge oder Abendrot macht Wangen tot.

Am 3. August folgt eine Ausstellung von Holzschnitten des im vergangenen Jahr verstorbenen Künstlers und Restaurators Heinrich Schüler aus Wiefelstede. „Gewichtig“ wird es ab dem 5. Oktober u. a. mit Steinskulpturen der aus Jever stammenden Bildhauerin Gudrun Wolff-Scheel. Und zum Jahresausklang steht – schon traditionell – die gemeinschaftliche Weihnachtsausstellung der künstlerisch aktiven Mitglieder an.

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Hartmut Bleß, Spinning Mills 2, o. D.

Hartmut Bleß, Fracking, 2014

Hartmut Bleß, Ruhende Rinder, 2017

Hartmut Bleß, Schädel, 2016

Hartmut Bleß, Hanibal, 2016

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